AUSWEIS BITTE

 

 

 

 

 

Alle Ausweis-Kontrolleure der Welt haben etwas gemeinsam: sie sind bewaffnet.

Hüseyin Isik

 

 

Die Müdigkeit des ganzen Tages ist über meinen Körper verbreitet; und seit Tagen dieser Schmerz in meinem Kopf. Ich bin in der U4; die Tür schließt sich in Schönbrunn. Es ist der Punkt, an dem ich immer aufstehe; ich hänge meine Tasche über die Schulter, den Einkaufssack in die Hand; und die Erschütterungen der U-Bahn verstärken den Schmerz in meinem Kopf. Ich lehne mich, meine Jacke, meine Tasche und den Sack an die Wand neben der Tür.

Die U-Bahn hält in Hietzing, und mit meiner flachen Hand schlage ich gegen den Türgriff.

Etwas später nehme ich meinen Platz in der Menge auf der Rolltreppe. Mit einem Routinesprung trenne ich mich von der Rolltreppe zum nicht rollenden Boden.

Plötzlich geht die Masse von mir weg; an ihre Stellt tritt eine Polizeimasse. Einer aus ihr senkt seine Augen in meine - er kommt immer näher. Mit seinen ausgebreiteten Armen will er verhindern, daß ich wegfliege, mich zur Wand drängen. Wer ist dieses Hindernis, das meine tägliche Gehroute verstellt. Ich schaue gegen dieses Hindernis. ich spüre etwas, der Schmerz im Kopf geht weg, meine Augen gehen weg und ich gehe zurück....

 

 

 

 Meine erste Ausweiskontrolle

 

 

Nach dem Putsch vom 12. März 1971 - ich bin ein zehnjähriges Kind - in der gesamten Türkei herrscht Ausgehverbot, Polizei und Militär gehen von Haus zu Haus - Identitäts- und Ausweiskontrolle.

Bis in die Mitte der Siebziger-Jahre wiederholt sich dieser Fall.

Ein Gesicht auf dem Körper zu tragen ist nicht genug: man muß einen Ausweis tragen.

Ende der Siebziger-Jahre ist es in Istanbul unmöglich, ohne Ausweiskontrolle von einer Gasse in die nächste zu gelangen. Aus dieser Zeit kann man noch immer die Spuren des Ausweises auf unseren Arschbacken sehen.

 

12. September 1980 - ein anderer Militärputsch - noch mehr Kontrollen. Der Ausweis wird zum Körperteil der Menschen. Läßt du deinen Ausweis zu Hause, bist du für mehrere Tage Gast im Polizeigefängnis.

Ich merke: nicht nur das Foto, auch der Geburtsort wird wichtig bei der Kontrolle.

 

Mitte der Achtziger-Jahre - meine erste Auslandsreise: Ausweiskontrolle wird Paßkontrolle; das heißt Warteraum beim Zoll. Die hinter mir stehenden Reisenden werden ungeduldig; eine neue Tür muß für sie geöffnet werden. ...

 

 

Seine Augen treffen mich noch immer und der Polizist drängt: "Ausweis, bitte..."

Meine Mutter, meinen Vater, meinen Namen, Geburtstag und Geburtsort, Farbe, Geschlecht, Nation und Religion habe ich nicht gewählt, auch nicht die Gesetze, die mich beherrschen; man hat mich in diese Welt geworfen.

 

 

 

Jedes Kind trägt für seinen Held ein Herz in sich.

Als Kind besuchte ich oft den Luna-Park; am interessantesten für mich waren die Schablonenfiguren ohne Gesicht: Zorro, Pekos Bill, Superman,, Sitting Bull - alle unsere Helden waren hier.

Hier dürfen wir unsere Identität auswählen - das Foto wird unser gewählter Großformatig reproduzierte Ausweise werden ausgestellt.

Der Unterschied zu ihrem Original: Das Gesicht auf ihrem jeweiligen Paßfoto ist ausgeschnitten.

Damit kann dem Besucher die möglichkeit geboten werden, seine jeweils bevorzugte Identität zu wählen und diese auf einem Polaroidfoto festhalten zu lassen.

Dem Besucher wird also eine Wahlmöglichkeit gegeben, eine Möglichkeit zur persönlichen Identifikation mit einer neuen Identität.

Im konkreten bestand bei der re'Aktion' die Wahlmöglichkeit zwischen: einem irakischen, japanischen, türkischen und niederländischem Reisepaß, einem österreichischen Fremdenausweis, einem Identitätsausweis aus der Besatzungszeit und einem Opferausweis aus der Nachkriegszeit.

 

 

Die Ausstellung 'Ausweis bitte' gibt Ihnen auch die Möglichkeit zu wählen, zu wählen zwischen Identitäten aus verschiedenen Nationen.

 

 

 

 

 

Ursprünglich war die 're'Aktion Ausweis bitte lediglich als eine einmalige 're'Aktion für das Interkulttheater geplant.

Die Reaktionen und das Interesse des Publikums waren jedoch dermaßen groß, sodaß ich beschloß, weitere Ausstellungen zu veranstalten und für weitere 're'Aktionen passende Räumlichkeiten auszuwählen, Institutionen anzusprechen und das Projekt in seiner Intention vorzustellen.

 

Bis jetzt wurden folgende weitere 're'Aktionen Ausweis bitte durchgeführt:

 

26. März 1997: Kulturzentrum Siebenstern:

're'Aktion bei der Eröffnung;

Dauer der Ausstellung: zwei Wochen

 

18. April 1997: Stadtteilzentrum Simmering:

're'Aktion bei der Eröffnung;

Dauer der Ausstellung: fünf Wochen

 

14. Juni 1997: Station 2: Gürtel

're'Aktion UBahn-Station Alserstraße

Dauer der Ausstellung: zwei Wochen

(unterbrochen für eine Eintages're'Aktion in Graz)

Bericht im Fernsehen darüber.

 

26. Juni 1997: Ökumenische Versammlung, Graz, Jakominiplatz

eintägige 're'Aktion.

 

16. Oktober 1997: im Afroasiatischen Institut, Graz.

 

Da das Interesse des Publikums weiterhin sehr groß ist und der Inhalt nichts an Aktualität verloren hat, möchte ich das Projekt -allerdings in leicht abgeänderter und erweiterter Form- weiterhin präsentieren.

In der ursprünglichen Form waren sechs verschiedene Ausweise verwendet. Nun möchte ich die Anzahl auf insgesamt dreiunddreißig erweitern, was einen breiteren Überblick und eine größere Bandbreite ergibt.

Auch das in der ersten Form verwendete Stellsystem soll erneuert werden, um die Dauerhaftigkeit zu erhöhen und größere Flexibilität im Einsatz zu gewährleisten.

 

Zusätzlich zum ursprünglichen Konzept wird ein 'Video-Ausweis-Stand' installiert.

Unmittelbar neben dem Eingang wird eine Video-Kamera positioniert, mit der jeder der Besucher aufgenommen wird. Dieses Portrait wird in eine 'Ausweis-Kabine' geleitet. Die Kabine ist so eingerichtet, daß ein großformatiger Ausweis aufgestellt ist; anstelle des Paßfotos ist dort hinter einem Ausschnitt ein Monitor montiert, auf den das beim Eingang aufgezeichnete Portrait projeziert wird.

Die aufgenommen Bilder werden gespeichert und sind in der Folge weiter abrufbar.

Durch dieses System kann ein vorhandener Ausweis mit einer Reihe von verschiedenen 'Paßfotos' bestückt werden.

Der Ausweis -ein persönliches Dokument- verliert damit seine Funktion - diese wird übertragbar, auswechselbar.

 

Einige der Ausweise haben anstelle der Fotos einen Spiegel angebracht - beim Betrachten wird der Spiegel zum Foto.

 

Als Ergänzung zu den vorhandenen sechs Exemplaren ist an folgende neue Ausweise gedacht:

Reise- oder Personalausweise aus verschiedenen Staaten

Gruppenreisepaß

Bettlerpaß

Schafpaß

Demonstrationspaß

Fremdenpaß für Österreicher in anderen Staaten

Paß als Exemplar zum Verbrennen bei Totengedenkfeiern (China)

spezielle Reisepässe besonderer Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens (Politiker, Künstler,...)

 

Für jeden Besucher der Aktion wird anstelle der sonst üblichen Eintrittskarten ein eigener, persönlicher 'Besucherpaß' ausgestellt.

 

Ergänzend zur Ausweispräsentation und den Aktionen ist an die Ausstellung von zusätzlichen Objekten gedacht: Neben interessanten Exemplaren von Ausweisen werden hier in Vitrinen Materialien und Geräte zur Erstellung und zum Druck von Ausweisen aus verschiedenen Zeiten und Gebieten gezeigt.

 

Der edelste Teil des Menschen ist sein Paß

Bert Brecht

AUSWEIS BITTE

eine 're'Aktion von Hüseyin Isik

WORK IN PROGRESS
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